9/12/2020

Auch 2020 stand die Wirkungsforschung nicht still. Die Praxis lobt die Qualität, fordert aber mehr Investitionen in die Vermittlung der Inhalte

Von Bettina Sonnenschein

Marketing nimmt vieles in Kauf: Es setzt oft großzügig Mittel ein, finanzielle ebenso wie technische, um durch deren Wechselwirkung ein Ziel zu erreichen. Die Forschung dagegen versucht, einzelne Wirkungsbeiträge zu isolieren und auf ihre Effekte hin zu untersuchen. Die so gewonnenen Erkenntnisse sind häufig wichtig, scheinen nicht immer ganz neu und liefern niemals die eine wahre Wahrheit – weil sie das auch gar nicht können.

Erst vor wenigen Wochen formulierte es Pilot -Geschäftsführer Uli Kramer auf HORIZONT Online so: “Consumer first”, so schreibt er über den Titel der gemeinsamen Livestream-Veranstaltung mit den Online Marketing Rockstars, das klinge vielleicht nach einem abgetragenen Hut. Die Frage, wie diese altbekannte Erkenntnis aber umzusetzen sei, ist immer aktuell. Auch, weil sich die Rahmenbedingungen ständig ändern.

Im Jahr 2020 nun haben sich die Rahmenbedingungen so extrem geändert, dass die Disziplin Werbewirkung vor einer besonderen Herausforderung·stand. Viele Agenturen und Forscher reagierten mit kurzfristig aufgesetzten Studien, die das aktuelle Konsumentenverhalten überprüften. Doch handelt es sich derzeit um eine Ausnahmesituation. “Vieles ist dieses Jahr zurückgestellt worden”, erklärt Dirk Engel, unabhängiger Markt- und Mediaforscher aus Frankfurt. Aufgrund der aktuellen Lage und auch, weil es möglicherweise schwer gewesen wäre, die gewünschte Aufmerksamkeit für neue Veröffentlichungen zu erhalten. Schließlich sind auch unzählige Veranstaltungen, die hier als Bühne dienen, ausgefallen.

Trotzdem empfindet Engel das Forschungsjahr 2020 als ein gutes für die Werbewirkung: “Man spürt einfach, dass sich viele Vermarkter stark um Transparenz und Qualität kümmern, dass sie mit einer Vielzahl von Methoden arbeiten und unter die Oberfläche blicken wollen.”

Mit das auffälligste Produkt dabei war sicherlich die Studie “Not all Reach is Equal”, in Auftrag gegeben von der TVGattungsinitiative Screenforce und in diesem Sommer veröffentlicht (HORIZONT 28-29/2020). Für Engel ist sie genauso ein Beispiel für den offensichtlichen Willen, qualitativ hochwertige Ergebnisse zu liefern. Doch obwohl er die interessante, experimentelle Methode lobt, bleibt für ihn die Frage der praktischen Anwendung. “Die Studie sagt, dass bestimmte Spots im TV besser wirken als auf Youtube- was ja nicht gleichbedeutend damit ist, dass Youtube schlecht ist.” Zumal auf Plattformen wie dem Videoportal oder auch Facebook häufig Kampagnen zu sehen seien, die genau dafür optimiert sind. So sei “Not all Reach is Equal” am Ende gut gemacht und hilfreich, nehme einem Planer aber keinesfalls das Denken ab. So sehr er die Wirkungsforscher lobt, so sehr plädiert Engel dafür, mehr Energie in die Weiterbildung der Entscheider zu investieren. “Sie müssen kontinuierlich auf dem Laufenden bleiben.” Ob es nun diese neue Studie zu Bewegtbild ist, die mit extremem Aufwand und pandemiebedingt mit vielen digitalen Formaten bekannt gemacht wurde, oder eine fortlaufende wie “Best for Tracking”, deren Absender die Verlagswelt ist und die kontinuierlich, aber ohne viel Aufhebens darum zu machen, neue Daten liefert: Am Ende, so fürchtet Engel, versandet vieles an Erkenntnissen doch wieder im alltäglichen Geschehen. Ganz ähnlich sieht das auch Cornelia Lamberty, Geschäftsführerinder Mediaagentur moccamedia in Trier. Man habe gerade in diesem Jahr die Zeit intensiv genutzt, die Studienlage zu beobachten und dabei besonders aufmerksam verfolgt, wie sich die digitalen Kanäle entwickeln: “Wir mussten im Frühjahr ja sofort auf das veränderte Konsumentenverhalten reagieren – da haben Studien schon geholfen.” Unter anderem der Aspekt aus “Not all Reach ist Equal”, dass TV auch im lokalen Markt, der moccamedias Feld ist, am nachhaltigsten wirkt, sei ein wichtiger gewesen. Aber auch Lamberty weist nachdrücklich darauf hin, “dass Studien nur dann ihre wirkliche Kraft entfalten, wenn sie als Arbeitsmittel in der Praxis verwendet werden”. Wobei die Mediaexpertin anmerkt, dass viele Arbeiten dafür gleich im Entstehen einen viel stärkeren Praxisbezug bräuchten. “Wenn in der Screenforce-Studie beispielsweise auch konkrete Kampagnen enthalten gewesen wären, hätte es für uns eine größere Bedeutung gehabt.” überhaupt gehe es im Alltag von moccamedia sowieso etwas anders zu: “Wir bilden ja die komplette Customer Journey ab und werden am Ende daran gemessen, was wir wirklich erreicht haben. Aufgrund unserer jahrzehntelangen Erfahrung und der entsprechenden Daten können wir das auch messen.” Entsprechend interessiere sie eigentlich nur, was wirklich erreicht wurde -und nicht, was laut einer Studie erreicht werden könnte. Ihr Plädoyer für die Zukunft lautet daher: eine engere Zusammenarbeit zwischen Forschung und Praxis. “Natürlich ist der Job der Forscher gemacht, wenn sie ihre Studie abgeschlossen haben. Wir sind dagegen in der Holschuld, zu überprüfen, ob das so auch funktioniert. Vielleicht wäre es nicht schlecht, den Weg gleich von Anfang an gemeinsam zu gehen.”