1/04/2020

Relevanz schaffen

Regionale Zeitungen sind in den vergangenen Jahren weiter unter Druck geraten. Nun versuchen sie, sich als Marke und Werbeträger stärker zu profilieren. Neue Produkte, differenzierter Paid Content und Vermarktungsideen sollen helfen, die Transformation zu schaffen

Die “Rhein-Zeitung” in Koblenz hat angekündigt, rund drei Viertel ihrer Lokalredaktionen und etliche Geschäftsstellen („RZ-Shops”) zu schließen. Axel Springer spart sich bei seiner Zeitung “Die Welt” den Hamburger Regionalteil, er wurde ersatzlos gestrichen. Die DuMont Mediengruppe hat den Großteil ihrer Regionalzeitungsverlage veräußert. Einer davon, der Berliner Verlag mit den Kerntiteln “Berliner Zeitung” und „Berliner Kurier”, produziert seit dem im Herbst 2019 vollzogenen Verkauf an das in der Medienbranche zuvor unbekannte Ehepaar Silke und Holger Friedrich vor allem Nachrichten in eigener Sache, meist betrüblicher Art, etwa über die Stasi-Vergangenheit des Verlegers, die Einbindung der staatlichen russischen Nachrichtenagentur TASS, den schnellen Abgang von Chefredakteur Matthias Thieme.
Wer Pessimismus über Printmedien, speziell in regionaler Ausprägung, pflegen will, wird problemlos fündig, wie die genannten Beispiele zeigen. Zur Stimmung passen die Marktzahlen: Im Schlussquartal 2019 lag die verkaufte Auflage der Tageszeitungen bei 14,9 Millionen Exemplaren pro Erscheinungstag, das sind rund 4 Prozent weniger als ein Jahr zuvor. Kein akuter Schwächeanfall, sondern ein chronisches Leiden. Der Befund über eine ganze Dekade hinweg zeigt das: In Summe gingen der Tagespresse in den zurückliegenden zehn Jahren 35 Prozent des Absatzes verloren.

Anzeigenerlöse in zehn Jahren fast halbiert
Auch als Werbeträger bekommt sie die Konkurrenz von Google, Facebook, Amazon & Co. schmerzhaft zu spüren. 2018, im Jahr der bislang letzten offiziellen Meldung des Netto-Werbemarktumsatzes, erzielten die Tageszeitungen knapp 2,4 Milliarden Euro. Zehn Jahre zuvor waren es laut Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) über 4,6 Milliarden Euro, also fast doppelt so viel.
Nachdem lange Zeit die Anzeigenerlöse das Geschäft der Zeitungsverlage trugen und mitunter rund zwei Drittel eines Jahresumsatzes ausmachten, haben sich die Gewichte elementar verschoben. Im Jahr 2010 verdienten die deutschen Zeitungen erstmals mehr Geld im Vertrieb als durch den Verkauf von Anzeigen. Seither ist der Anteil der Werbeeinnahmen weiter zurückgegangen. Misslich für die Verlage, dass inzwischen auch die Vertriebserlöse sinken. Die regelmäßig erhöhten Abopreise können den Rückgang der verkauften Auflage nicht mehr wettmachen. Hinzu kommt, dass die Kosten für die Zustellung durch die Einführung des Mindestlohns erheblich gestiegen sind. Die Madsack Mediengruppe (“Hannoversche Allgemeine Zeitung”), mit rund 700 Millionen Euro eines der größten regionalen Zeitungshäuser in Deutschland, spricht von einer dadurch bedingten Mehrbelastung von etwa 40 Millionen Euro im Jahr.
Für die gesamte Branche seien Zusatzkosten in Höhe von rund 400 Millionen Euro entstanden, behauptet der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV). Rund 100 000 Zusteller, die mehrheitlich als geringfügig Beschäftigte im “Minijob” arbeiten, sorgen dafür, dass täglich mehr als zehn Millionen Zeitungen zu den Lesern gelangen. Ende vergangenen Jahres hat der Bundestag beschlossen, die Verleger von Abonnementzeitungen und Anzeigenblättern finanziell zu entlasten, und dafür Mittel in Höhe von 40 Millionen Euro in den Haushalt eingestellt.
Die Entscheidung polarisiert: Die einen sehen darin unangemessene Subventionen, die anderen kritisieren das Hilfspaket als deutlich zu klein geraten. Der Bund begründet die gewährte Vertriebsförderung als Maßnahme, um die Verlage bei der digitalen Transformation zu unterstützen und zur lokalen Pressevielfalt beizutragen. Auf einen kurzen Nenner gebracht: Die wirtschaftliche Situation ist angespannt, für manche Verlage gar brenzlig geworden, das bisherige Geschäftsmodell gerät weiter unter Druck.

Journalismus finanzieren – und damit Geld verdienen
Im Gegensatz zu den Digitalriesen aus dem Silicon Valley, die von der Mechanik der Plattformökonomie profitieren und vor lauter Werbeerlösen kaum laufen können, haben die Verlage ihr Geschäft einst auf einer anderen Basis erbaut: Journalismus. Dadurch können sie im Vergleich zu ihnen zwar eine weitere Erlösquelle anzapfen, nämlich den Vertrieb, indem Leser für Inhalte bezahlen. Aufgrund sinkender Auflagen und erodierender Werbeeinnahmen ist das Ganze aber zu einem mühsamen Business geworden. Zumal Journalismus etwas verursacht, was Kaufleute nicht mögen: Kosten.
Nach Jahren des Schlummerns und Verharmlosens haben die Verlage den Vorwärtsgang eingelegt. Die digitale Transformation nimmt Fahrt auf, immer mehr Zeitungen haben umgeschwenkt: Inhalt wird nicht mehr gratis ins Netz gestellt, sondern verkauft. Preise und Produktzuschnitt unterscheiden sich, nicht aber das Ziel: Geld verdienen. Dabei verstehen sich die Verlage eher als Zweckgemeinschaft denn als Konkurrenten.
“Diese ganze digitale Transformation von Regionaljournalismus”, sagte Madsack Chef Thomas Düffert kürzlich im Magazin “Kress Pro”, “werden entweder alle hinkriegen oder keiner.” Dabei dürfen die Verlage keine Zeit verlieren. Die Madsack-Zeitungen, die derzeit rund 650 000 gedruckte Zeitungen im Abo verkaufen, wollen bis 2023 gut 271000 digitale Abos an den zahlenden Leser bringen. Aktuell sind es nicht mal ein Zehntel.
Doch in vielen Ecken der Republik, von der “Badischen Zeitung” bis zur “Sächsischen Zeitung” ist überlebensnotwendiger Ehrgeiz ausgebrochen. Die “Augsburger Allgemeine” beispielsweise meldet Rekorde: Im Dezember kamen 600 neue Digital-Abonnenten hinzu, im Januar 860. Für Zeitungen, die sechsstellige Auflagen gewohnt sind, klingt das nach wenig. Doch die Verlage haben auch an scheinbar kleinen Zahlen große Freude, weil daran zu sehen ist: Sie sind auf dem richtigen Weg.

Preise und Produkte digital differenzieren
Print-, E-Paper- und Digital-Abos voneinander zu entkoppeln, neue Angebotsvarianten zu testen, auch das gehört zum Spiel. Zeitungen aus der Madsack-Gruppe verkaufen zum Beispiel eine Nachrichten-Flatrate für 2,49 Euro pro Woche und haben ein “Time Wall” genanntes Angebot aus Skandinavien adaptiert, wonach in der ersten Stunde sämtliche Beiträge auf der digitalen Zeitungsseite frei zugänglich sind. Die kleine “Ibbenbürener Volkszeitung” (IVZ) hat neun Themenwelten eingeführt, unter anderem Lokalsport, Wirtschaft, Blaulicht & Verkehr, Familie & Schule, Vereinsleben, die man jeweils für drei Euro im Monat abonnieren kann – oder eben das gesamte Angebot für 15 Euro. Der “Tagesspiegel” in Berlin wiederum hat spezielle “Background”-Newsletter eingeführt. Aktuell sind vier solche “exklusive Entscheider-Briefings” im Programm: Digitalisierung & KI, Energie & Klima, Gesundheit & E-Health und Mobilität & Transport, jeweils zum monatlichen Abopreis von 179Euro.
Zeitungen machen sich also auf unterschiedliche Weise Paid-Content-fähig. Und welche Bedeutung haben sie noch als Werbeträger? “Keine”, sagt Cornelia Lamberty, allerdings nur bezogen auf bestimmte Zielgruppen, die Gedrucktes nicht (mehr) lesen. “Stattdessen informieren sie sich vielleicht via Facebook oder auf der Homepage über die örtlichen Nachrichten, sodass der Content der Tageszeitungsredaktion doch wieder relevant wird”, erklärt die Vorstandsvorsitzende der Agentur moccamedia, die auf Medialösungen für regionales Handelsmarketing spezialisiert ist. Mediaplaner nehmen die Tageszeitung nicht nur als gedrucktes Medium wahr. “Dank Digitalausgabe, Internetpräsenz, Social-Media-Kanälen und Live-Kommunikation ist eine sehr differenzierte Aussteuerung möglich”, so Lamberty.
Was die Tageszeitung als Werbeträger attraktiv macht, ist ihre weiterhin hohe Reputation. Erst recht seit der Debatte um Fake News und Brand Safety. “Hier hat sie eine Renaissance erfahren”, sagt Lamberty. “Das von Glaubwürdigkeit, Seriosität, Relevanz bestimmte Image überträgt sich bei gut gemachter Werbung auch auf die Werbebotschaften.”
Neben Verweildauer und Aufmerksamkeit, durch die sich die Tageszeitung von “Nebenher”-Medien abhebt, verweist die Mediaexpertin auf Vorzüge in der Distribution. Zum Beispiel findet sie die Adressierung von Abonnenten sehr interessant. “Wenn das System des jeweiligen Verlags es ermöglicht, kann man nicht nur händlerindividualisierte, sondern sogar personalisierte Werbung verschicken, etwa durch Banderolen. Das schafft ein Maximum an Aufmerksamkeit.”

Beispiel “Mopo”: Wie Verlage die Werbevermarktung vereinfachen
Die Ankündigung, “Programmatic Print” einzuführen, ließ aufhorchen. Und erst mal staunend nachfragen: Was hat die “Hamburger Morgenpost” (Mopo) damit vor, und was steckt überhaupt dahinter? Das Ganze geht so: Werbekunden können auf digitalem Wege Printanzeigen nach dem “Wunschpreis-Prinzip” buchen. Ein paar Klicks auf der eigens von “Mopo”-Vermarkter Hamburg First und Entwickler Pryntad gebauten Landingpage genügen. Danach nimmt das Sales-Team direkt Kontakt mit dem Kunden auf und entscheidet sich für oder gegen das Angebot.
Seit Oktober 2019 ist das Vermarktungstool im Einsatz, die darüber erreichte Zahl an Anzeigenkunden bewegt sich in gut zweistelliger Höhe, teilt Geschäftsführerin Susan Molzow mit. “Wir wollen dadurch neue Kunden gewinnen oder Kunden, die länger nicht mehr bei uns geworben haben, zur ,Mopo’ zurückführen.”
Pryntad ist ein Marktplatz für die Schaltung von Anzeigen in Zeitungen und Zeitschriften, der von der gleichnamigen Firma betrieben wird. Laut Gründerin Anja Visscher “adaptiert Pryntad gelernte, erfolgreiche Prozesse aus der Digitalvermarktung für das analoge Medium Print. Wir denken Print digital.” Auch wenn die Rede vom “Wunschpreis” ist, geht es in erster Linie um Zeitersparnis für alle Beteiligten. “Werbetreibende können ohne großen Aufwand und Zeitverzug kosteneffizient Printwerbung schalten, selbst wenn sie über kein Media-Know-how verfügen und keine Agentur einschalten”, erklärt Molzow. Die Fäden gebe man dabei nicht aus der Hand. “Wir entscheiden, welche Rabatte wir gewähren wollen. Jede Schaltung muss bei uns wirtschaftlich bleiben.”
Das Prinzip von Pryntad besteht darin, automatisch Anzeigenplätze zu vergeben, die noch nicht gebucht sind. Derweil könne sich das Sales-Team, so Molzow, “in der Vermarktung gezielt für die persönliche Kundenbearbeitung und den personalintensiven Konzeptverkauf einsetzen”.

Beispiel “Griaß di”‘: Von der Zeitung zur regionalen Marke
“Griaß di'” sagt, wer im Allgäu zu Hause ist und jemanden begrüßt. “Griaß di”‘ ist inzwischen aber auch eine Lifestyle-Marke, die die Mediengruppe Allgäuer Zeitung geschaffen hat und mit der sie dazu beitragen will, den Tourismus in der Bergregion zu stärken. “Regionale Zeitungsverlage kennen sich im Umgang mit regionalen Zielgruppen aus. Diese Stärke haben wir konzeptionell ausgearbeitet”, sagt Geschäftsführer Markus Brehm.
Publizistischer Mittelpunkt ist das 2015 gestartete Erlebnismagazin “Griaß di’ Allgäu”, entscheidend aber die Idee, so Brehm, “Inhalte und Aktivitäten zu entwickeln, die Menschen positiv mit der Tourismusregion Allgäu in Verbindung bringen. So haben wir ein attraktives Umfeld für Werbetreibende aufgebaut.” Über alle Kanäle hinweg- im Magazin und in weiteren Printmedien der “Allgäuer Zeitung”, im Social Web sowie auf Griassdi-allgaeu.de – erreicht die Marke rund 420 000 Kontakte im Monat, davon rund drei Viertel über Print, den Rest digital. Der Fokus liege zwar darauf, attraktive Werbeumfelder zu schaffen. Aber “Griaß di'” funktioniert auch anders: Rund 60 Produkte umfasst das im Webshop und in Geschäftsstellen erhältliche Sortiment mit Topsellern wie Bierkrug, Brotzeitbrett und Fußmatte.

Beispiel “Wirtschaftszeitung”: Neue Zielgruppen erobert
Im Oktober feiert die “Wirtschaftszeitung”, geboren unter dem Dach des Mittelbayerischen Verlags in Regensburg, ihren zehnten Geburtstag. Ziemlich jung für eine gedruckte Zeitung – und ein Beleg dafür, dass sie als erfolgreiches Start-up funktionieren kann. Die Auflage von anfangs 2500 Stück hat sich versiebenfacht auf 17 500. Weit über 90 Prozent landen personalisiert bei Entscheidern der Region, das ist die Kernzielgruppe der “Wirtschaftszeitung”, deren Geschäft auf qualifizierter Reichweite aufbaut und die sich als kommunikativer Brückenbauer versteht. “Die ,Wirtschaftszeitung’ war schon sehr früh mehr als nur eine Zeitung”, betont Redaktionsleiter Thorsten Retta. Durch direkten, regelmäßigen Kontakt zu den Entscheidern in der Region, durch Veranstaltungsformate wie die “Gala der Wirtschaftszeitung” oder Fachforen habe sich die “Wirtschaftszeitung” als Plattform und Netzwerk etabliert.
Die Zeitung erscheint monatlich in einem Umfang von 32 bis 40 Seiten, die Redaktion berichtet über Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Technologie, Arbeitsmarkt und Bildung. Zudem gibt es seit Mai 2019 den wöchentlichen Newsletter “Wirtschaftszeitung Weekly” mit Infos aus der regionalen Wirtschaft. Das Konzept, in der wachstumsstarken Region
mit Firmen wie BMW, Infineon, Osram, Contineutal und vielen erfolgreichen Mittelständlern auf ein werbefinanziertes Geschäftsmodell zu setzen, hat sich als goldrichtig erwiesen. Dabei wählen Werbekunden überwiegend Advertorials statt klassische Anzeigenformate.
„Durch die “Wirtschaftszeitung” hat das regionale Medienhaus ein neues Segment erobert. “Wir haben es geschafft, ein B-to-B-Produkt zu etablieren und damit Werbekunden zu gewinnen, für die der Verlag, abgesehen von Stellenanzeigen, vorher kein derart passgenaues Angebot hatte”, sagt Retta. Deutlich über 100 Kunden buchen regelmäßig in der “Wirtschaftszeitung”, fast jeder Zweite (45 Prozent) ist ein Neukunde für den Verlag.
Der Netzwerkansatz der Zeitung findet im “Businessclub” seine logische Fortsetzung. 2018 gegründet, zählt er momentan rund 160 Mitglieder, die regulär 450 Euro (erstes Jahr: 250 Euro) dafür bezahlen, an exklusiven Vorträgen und Veranstaltungen teilzunehmen. Retta: “Mit der bisherigen Resonanz sind wir sehr zufrieden. Bis Jahresende halte ich einen Anstieg auf 200 Mitglieder für möglich.”