12/09/2022

Eine Frage der KULTUR und der UMFELDER

Die Zahlen waren eine schallende Ohrfeige: 2021 veröffentlichte der Agenturenverband GWA seinen Diversity-Report. Demnach waren 60 Prozent der Belegschaft Frauen. Allerdings stellten sie nur 18 Prozent der Geschäftsführer:innen. Und: Das katastrophale Missverhältnis hatte sich im Vergleich zur Befragung von 2017 fast gar nicht, gegenüber 2014 nur unwesentlich verändert. Eine Branche im Stillstand.

Befragt wurden überwiegend Werbeagenturen. Denn die stellen die größte Mitgliedergruppe. Hätte der GWA in seinen Reihen auch alle Mediahäuser — das Ergebnis wäre besser ausgefallen. Denn erstaunlicherweise sind die Top-Etagen und auch die Ebenen der Geschäftsführungen und -leitungen dort öfter mit Frauen besetzt. Bei- spiele gefällig? Bei der Group M betragt das CEO-Verhältnis 50:5O. Gruppen-CEO ist Karin Ross. Bei den Agenturen der IPG Group sind drei Männer und drei Frauen auf C-Level beschäftigt. Bei Publicis ist das Verhältnis 5 zu 3 zugunsten der Manner. Bei Dentsu 6 zu 4. Deutlich größer ist der Gendergap beispielsweise bei den OMG- Brands, aber auch bei Crossmedia und Mediaplus. Klar: Von 100 Prozent Gleichberechtigung kann so gut wie nirgendwo die Rede sein. Doch scheint es Frauen leichter zu gelingen, in Mediaagenturen Karriere zu machen. Weshalb?

Zwei Drittel der Einsteiger sind weiblich

Ein Grund ist sicherlich, dass bei den Mediaagenturen der Anteil der Mitarbeiterinnen noch größer ist als bei den Vertretern der Kreativsparte. Beim Verband OMG ist die Rede von 65 Prozent. Genaue Zahlen gibt es nicht. Wobei der Anteil noch größer ausfallen kann. So spricht Stefanie Tannrath, seit 2020 CEO bei Universal McCann, sogar von 70 Prozent Frauen in der Agentur. Auf GL-Ebene kommt sie nicht zuletzt aufgrund der großen Basis auf eine ausgeglichene Situation. Obgleich rein statistisch betrachtet mehr Frauen vertreten sein mussten. Dennoch ist Tannrath nicht unzufrieden: „Es geht ja nicht nur um Frauen, sondern um alle Dimensionen der Diversität. Bei der IPG Group werden diese Themen sehr zielgerichtet vorangetrieben. So gab es unlängst EMEA-weit unter anderem einen Diversity Day, um dafür zu sensibilisieren.“ Sie selbst legt besonderes Augenmerk auf Teilzeitmodelle. Bei der Group M hat man sich als Ziel zunächst einen Frauenanteil in der Führung von 4O Prozent gesetzt. Eine Vorgabe, die Mind-share bereits erreicht hat: gleichermaßen auf GF- wie auf GL-Ebene. CEO in Deutschland ist Katja Brandt. Gleichberechtigung ist ein Herzensanliegen von ihr, das sie seit Jahren mit Verve verfolgt.

Schon bei ihrem früheren Arbeitgeber Vizeum (Dentsu) hatte sie Barbara Lutz engagiert (s. Interview). Lutz erstellt den sogenannten Frauen-Karriere-Index, der auf wissenschaftlicher Basis die Situation der Frauen in Unternehmen erfasst. Auch bei Mindshare beauftragte sie Lutz. Die anderen Group-M- Agenturen zogen nach.

Die Angst vor dem Familien-Karriereknick

Letztlich aber beschränkt sich Brandts Vision wie die vieler ihrer Kolleg:innen nicht nur auf den Aspekt Gleichberechtigung. „Als moderne Organisation müssen wir den verschiedenen Lebensmodellen aller Mitarbeiter gerecht werden können. Es geht um Freiräume, um in sehr anspruchsvollen Jobs bestehen zu können. Da hat jeder Mitarbeiter, jede Mitarbeiterin eigene Bereiche, die wichtig sind. Das kann die Familie sein, aber auch eine Extrem-Sportart oder der eigene Garten.“

Natürlich sind die Rahmenbedingungen in den international agierenden Networks nicht zu vergleichen mit denen inhaber- geführter Mittelständler, die auf Kreativseite die Mehrheit bilden und nicht selten von Männern gegründet wurden. Erst- genannte arbeiten zudem oft für globale Unternehmen, die häufig klare Vorgaben für ihre Dienstleister auch in puncto Diversität haben. Oder wie Birgit Konrad, CEO Starcom, formuliert: „Das Thema Diversität finden Sie immer. Das steht in jedem Code of Conduct und in jedem Statement, das wir beim Pitch abgeben müssen.” Ein Freibrief für Diskriminierung und fehlende Förderung der Independents ist das allerdings nicht. Beispiel moccamedia.

Die Trierer Mediaagentur mit Fokus regionale Medien wurde 1989 von Cornelia Lamberty gegründet. Mittlerweile arbeiten rund 200 Kolleg:innen für sie. Der Anteil der Frauen beträgt in allen Bereichen und auf allen Hierarchieebenen mehr als 50 Prozent, sagt Lamberty. Ausnahme: das Digital-Department. Wie es ihr gelang? Mit sinnvollen Angeboten. Das Spektrum reicht von speziellen Fortbildungen in der moccamedia-Academy über Shared-Leadership-MögIichkeiten — auch in Teilzeit — und individuelle Arbeitszeitmodelle bis zur agentur- eigenen Kita und einem Shuttle-Service für Schulkinder bei Terminkollisionen. Seit Juni gilt zudem 100 Prozent mobiles Arbeiten. Das alles spricht sich auch unter den Studentinnen am Firmensitz herum.

Ein Paket, das bestimmt der einen oder anderen Interessentin die Angst vor dem Familien-Karriereknick nimmt. Denn die ist nach wie vor groß. Stefanie Tannrath erinnert sich noch gut an eine Diskussionsrunde im vergangenen Jahr mit weiblichen Trainees. „Ich war schockiert, wie viele dieser jungen Frauen darüber nachdenken, ob und wie sie Karriere und Familie vereinen können”, so die CEO. Umso wichtiger seien Vorbilder, positive Beispiele, dass es eben möglich ist.
Die Kultur, da sind sich die Chefinnen der Mediahäuser einig, spielt eine große Rolle bei dem Erreichen von Gleichberechtigung. Es braucht Transparenz, Offenheit, ein wertschätzendes Miteinander und den Willen zur Veränderung. Genau das hat Diana Degraa, Mitglied im Frauennetzwerk Mission Female, in Mediaagenturen vorgefunden. Nicht unbedingt in den Kreativschmieden, in denen sie davor gearbeitet hat. „Es gab dort eine andere Kultur”, lautet ihrer Erfahrung, und die war wenig offen für Gender-Themen. Für Birgit Konrad hat das auch etwas mit den mitunter männlich geprägten Strukturen bei den „Kreativen” zu tun — und mit unterschiedlichen Anforderungen. „Mediaagenturen sprechen eher Menschen an, die faktenbasierter arbeiten wollen, und suchen den Dialog mit Kunden und Zielgruppen. Das kommt Frauen entgegen und zieht generell andere Persönlichkeiten an.

„Eine extrem monotone Struktur der Persönlichkeiten“
Barbara Lutz war jahrelang Chefin einer Networkagentur, bevor sie sich selbstständig gemacht hat.
Die Gründerin des Frauen-Karriere-Index stellt den Agenturen generell kein gutes Zeugnis aus.

Frau Lutz, Sie beraten unter anderem Unternehmen dabei, mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen. Das fällt den Mediaagenturen offenbar leichter als den Werbehäusern. Weshabl?
BL Bei den Mediaagenturen funktioniert es besser, weil diese stark auf Facts und Figures fokussiert sind. Es sind Unternehmen, die sehr von messbaren Ergebnissen getrieben sind und daher auch eine hohe Transparenz in der eigenen Organisation haben, was funktioniert und was nicht. Es geht um Objektivität. Zudem hat dort früher ein Generationswechsel stattgefunden. Der steht bei vielen Werbehäusern noch an. Daher findet man die guten Frauen meist auch in der Strategie.

Der Frauen-Karriere-Index belegt, in welchem Stadium sich ein Unternehmen befindet. Was wird gemessen ?
BL. Wir sehen uns erst mal den Status quo und die Dyamik der Veränderung an: Wo stehen die Männer und Frauen in der Organisation? Dann bewerten wir den Faktor „Commitment“, der wiederum in drei Bereiche aufgeteilt ist. Dritter Evaluirungspunkt sind die Rahmenbedingungen. Beim Commitment geht es darum, zu eruieren, wer sich in den Systemen und in der Öffentlichkeit zu demThema positioniert und tatsächlich Veränderungen initiiert. Das ist, mit Blick auf die Agenturen, ausgesprochen überschaubar. Zudem analysieren wir, wie mit den Karrieremöglichkeiten umgegangen wird. Sehen wir beispielsweise, dass dem Commitment entsprechen auch Beförderungen erfolgt sind? Oder etwa nicht? Dann erkennt die organisation selbst, dass das Bekenntnis nicht ernst gemeint war.

Weshalb wird so viel angekündigt, aber wenig umgesetzt?
BL Weil wir in der Belegschaft von Agenturen eine extrem monotone Struktur der Persönlichkeiten vorfinden. Die haben einen sehr ausgeprägten Drang nach Kloning. Das heißt, sie sprechen immer wieder die gleichen Menschen an. Das fördert natürlicherweise Seilschaften und verhindert Veränderungen. Und warum wird diese Monotonie so geliebt? Weil es damit einfacher gemacht wird, Entscheidungen zu treffen. Weil das gegenüber sofort dechiffrieren kann , was durch bestimmte Kürzel oder Begriffe gemeint ist. Weil man weiß, wie sich der andere verhält. Das führt auch dazu, dass nicht nur Frauen schwer aufsteigen, sondern auch andere diskriminiert werden. Am Ende führt genau das auch zu seltsamer Werbung, die dann – zu Recht – für Ärger sorgt. Bei H&M posierte ein Kinder-Model, People of Color, mit der Aufschrift auf dem Pullover „Coolest Monkey in the Jungle“. Oder der VW-Spot: Da wird ein People of Color von einer weißen Hand einfach weggeschnippft. Wie kann so etwas passieren? Das Konzept wurde entwickelt, präsentiert, freigegeben und dann produziert. Es hätte so viele Möglichkeiten gegeben, darüber nachzudenken, dass so etwas nicht sein darf.

Es gab und gibt immer wieder Ausreißer…
BL Weil der Blick dafür nicht da ist. Weil bei der Entwicklung des Spots scheinbar keine Person involviert war, die mit dem Thema Diversität einmal Berührungspunkte hatte. Das extreme Kloning führt auch dazu, dass die Verantwortlichen gar nicht auf die Idee kommen, bestimmte Personen zu befördern. Umgekehrt sagen sich zum Beispiel die Frauen: Da will ich nicht hin. Weshalb soll ich mich diesem sehr maskulinen Umfeld überhaupt aussetzen? In der Industrie verdiene ich doppelt so gut. Und was Agenturen nicht im Blick haben: Die Frauen begegnen ihnen dann aber auf Kundenseite. Denn die Unternehmen sind angehalten, ihre Quoten zu erfüllen. Und wo passiert das? Vor allem im HR, im Finance und im Marketing.

Sie stellen der Branche kein gutes Zeugnis aus.
BL Die Agenturen nehmen sich nicht mehr die Zeit und investieren nicht mehr genug, um die Menschen wirklich hochklassig auszubilden. Agenturmanager sind selten gut trainierte Leader. Wie viele Agenturen bieten denn wirklich gute Leadership-Programme an?

Es ist eine überwiegend mittelständisch geprägte Branche, die nicht unbedingt die Mittel für perfektes Karrieremanagement hat.
BL Aber sie haben einen sehr starken Verband. Beim GWA gab es schon mal den Ansatz, die Branche upzuskillen. Das war aber wohl zu teuer. Mittelständler in anderen Branchen haben durchaus erkannt, dass sie in Menschen investieren müssen. Auch in die Rahmenbedingungen. Corona hat gezeigt, wie wichtig Flexibilität ist – in möglichst allen Bereichen, sei es bei der Arbeitszeit, dem Arbeitsort, der Funktion und so weiter.