19/11/2018

Wer braucht schon Vertrauen?

Geschrieben von: W&V extra, S.4 ff.;19.11.2018

Das Vertrauen ins Internet sinkt auf ein Allzeittief Bundesbürger besinnen sich auf die Qualitäten journalistischer Medien. Zu spät? Sind Zeitungen und Zeitschriften noch zu retten? Und wenn ja: wie?

Ein Zeitungsstand am Bryant Park im Herzen von Manhattan, Ecke 6th Avenue und 42nd, eine belebte Gegend. Es ist ein kalter, sonniger Oktobertag. “Texas offiziell als mexikanischer Bundesstaat anerkannt’: steht auf dem Cover des Nachrichtenmagazins News for the Week, und das Boulevardblatt Hussle enthüllt: “Hollywoodelite trinkt Babyblut, um sich zu berauschen!” Alles erstunken und erlogen. Nicht von Journalisten, sondern von Trollen im Netz.
Dahinter steckt eine Aktion der Columbia Journalism Review, renommierte Zeitschrift des Journalistikinstituts an der New Yorker Columbia-Universität. Sie kreierte einen kompletten Kiosk, voll nur mit Fake News. Gemeinsam mit der Werbeagentur TBWA sammelte die Redaktion notorischen Unsinn, der im Internet kursiert, druckte die Funde auf Titelseiten, die an Vorbilder wie New York Times und Newsweek erinnern, und bestückte damit den Zeitungsstand am Bryant Park. Die Idee: Leute zu sensibilisieren für die Brühe aus Ungeprüftem und frei Erfundenem, die ihnen das Web Tag für Tag auftischt. Alternative Fakten entlarven sich selbst, wenn man sie schwarz auf weiß vor sich sieht, gebannt auf Papier. Die Magie der Druckerschwärze?

Ein Wahrheitszauber, der sich im Blättern entfaltet? Die Erklärung ist profaner. Journalisten sind der Wahrheit verpflichtet. Sie recherchieren gemäß ihrer Sorgfaltspflicht, achten in der Berichterstattung auf die Wahrung der Menschenwürde, schmähen keine Anschauungen. Der Pressekodex gewährleistet: Was in Zeitungen und Zeitschriften – und deren digitalen Ablegern – steht, hat Hand und Fuß. Leser haben das über Jahre und Jahrzehnte gelernt. Und besinnen sich jetzt wieder darauf. Zunehmend stinken ihnen die Sickergruben des Digitalen, die mit Hass und Humbug die Atmosphäre verpesten. Während das Vertrauen in Plattformen sinkt, steigt das Vertrauen in Journalismus”, stellt das “Edelman Trust Barometer” fest. EU-weit wuchs das Vertrauen in Printmedien seit 2012 um 14 Indexpunkte, besagt die Studie “Trust in Media” der Europäischen Rundfunkunion. Das ohnehin geringe Vertrauen in viele Webportale hingegen erreichte vergangenes Jahr ein Allzeittief.

Die Werbeszene schätzt Qualitätsmedien
Knapp 95 Prozent der Deutschen kennen den Begriff Fake News, jeder Zweite ist selbst schon einmal wissentlich mit Fake News in Berührung gekommen. Das zeigen die Daten der Studie “best for planning” der Gesellschaft für integrierte Kommunikationsforschung (GIK). 92 Prozent der Deutschen sehen Social Media als besonders anfällig für die Verbreitung von Fake News. Auch in der Werbung schneidet Print sowohl deutlich glaubwürdiger (4,4-mal) als auch kaufanregender (3,5-mal) als Social Media ab. “Wenn man die Deutschen fragt, welche Quellen sie als sehr vertrauenswürdig’ einstufen, bekommen Printmedien und journalistische Internetseiten Bestnoten”, unterstreicht Julia Scheel, Geschäftsführerin bei Hubert Burda Media sowie diesjährige Sprecherin der Geschäftsführung der GIK. Sie fügt hinzu: “Printmedienmarken gelten als ebenso vertrauenswürdig wie Bekannte und Verwandte.” Werbungtreibenden kommt das zugute. Sie finden Umfelder vor, in denen ihre Markenbotschaften Teil eines Qualitätsversprechens sind. Mag sein, dass Zeitungen und Zeitschriften das nicht jederzeit vollständig einlösen, aber selbst in ihren schwächsten Momenten gleiten sie kaum in Untiefen ab, die im Netz Alltag sind. Die Werbeszene schätzt dieses Qualitätsversprechen. “Die Umfelder von Qualitätsmedien bieten ein wertigeres und damit auch effizienteres Umfeld für Werbung als der Durchschnitt aller Medien”, sagt Florian Haller, CEO der Serviceplan-Gruppe. “Das bedeutet: Der angestrebte Bestandteil für die Möglichkeiten unserer Kunden, ihre Marken zu inszenieren.” Doch Qualität kostet. Auflagen und Anzeigenerlöse sind seit Jahren rückläufig, Verlage ächzen. Julia Jäkel, Vorstandsvorsitzende von Gruner + Jahr, brachte daher eine “Corporate Media Responsibility” ins Gespräch, eine freiwilligeSelbstverpflichtung Werbungtreibender. Wer eine gediegene Umgebung für seine Markenbotschaften wünscht, so der Gedanke, darf sich gern für deren Erhalt einsetzen. Die Idee kommt nicht überall gut an. “Es kann nicht die Aufgabe der Werbungtreibenden sein, den Journalismus zu retten”, sagt Medienwissenschaftler Wolfgang Mühl-Benninghaus. Serviceplan-Chef Haller stellt klar: “Die primäre Aufgabe von Werbung ist es, Marken und Unternehmen zu stärken.” Das gibt durchaus die Stimmung unter Werbungtreibenden wieder. “Für die innere und äußere Vielfalt sind Medien wirtschaftlich selbst verantwortlich”, sagt Thomas Voigt von der Otto Group (Kommentar rechts). Was nicht heißt, dass sich Unternehmen vor gesellschaftlicher Verantwortung drücken. Firmenlenker, so Voigt, hätten Beiträge zu leisten, “den Erhalt unserer ökologischen und wirtschaftlichen Lebensgrundlagen und den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu fördern”. Aber nicht mit ihren Werbegeldern. Wolfgang Grupp, Inhaber der Textilmarke Trigema, gilt als Mann mit Ecken und Kanten, aber auch als Unternehmer, der eine Fürsorgepflicht für seine Belegschaft lebt. Anzeigen? “Schalte ich so gut wie nie”, erklärt er. Dennoch: “Ich würde es vermissen, wenn es keine Printmedien mehr gäbe.” Im Lauf der Jahrzehnte passte der 76-Jährige Trigemas Geschäftsmodell immer wieder an veränderte Rahmenbedingungen an. “Wir müssen uns den Veränderungen stellen, auch in der Printlandschaft.” Dass Verlage im Netz aufwendig Recherchiertes kostenlos verbreiten, sieht Grupp kritisch. “Mir fällt nicht im Traum ein, meine Produkte zu verschenken.”

Was sich Mediaplaner von Verlagen wünschen
Der Vorschlag einer Corporate-Media-Responsibility hat eine nützliche Debatte angestoßen. „Wir wollen weiterhin glaubwürdige Qualitätsumfelder für unsere Werbemittel und sprechen deshalb sehr viel mit Vermarktern und Verlagshäusern”, so Cornelia Lamberty, Vorstandsvorsitzende der Mediaagentur moccamedia. “Seitens der Herausgeber wünschen wir uns oftmals eine flexiblere Herangehensweise: mehr crossmediale Angebote, außergewöhnliche Werbeformate, granulare Aussteuerung.” Für die Zukunft der Qualitätsmedien sieht Sven Weisbrich keineswegs schwarz. “Jüngere Generationen wissen um die Rolle von Fake News und Algorithmen, Facebook hat den Status des ,Happy Place’ längst verloren’ sagt der CEO der Mediaagentur Universal McCann. “Profiteure können die bekannten Medienmarken sein, die großes Vertrauen, auch in jüngeren Zielgruppen, genießen.”

specials@wuv.de