28/10/2019

PERFORMANCE MARKETING

Mails haben Hochkonjunktur. 848,1 Milliarden davon verschickten die Deutschen im vergangenen Jahr. So viel, dass zahlreiche davon ungelesen im Papierkorb landen. Die Inflation der elektronischen Post führt dazu, dass Briefe eine neue Wertigkeit erhalten – auch im Dialogmarketing. Nicht nur die strengen Datenschutzbestimmungen der DSGVO haben dafür gesorgt, dass sich selbst digital orientierte Agenturen auf das postalische Mailings rückbesinnen.
von Vera Günther Montag, 28. Oktober 2019

Tatsächlich hat das Printmailing eine Renaissance erlebt“, sagt Helmut Briggl. Mit ein Grund hierfür sei, so der Geschäftsführer der Dialogmarketingagentur Defacto, dass die Unternehmen gelernt hätten, aus der Kundenperspektive zu denken. „Früher hat man viel aus den Kampagnen und den Kanälen heraus gedacht, doch der Kunde von heute macht das nicht mehr mit. Die Kunden akzeptieren nicht mehr, Werbung zu bekommen, die sie zu dem Zeitpunkt oder inhaltlich nicht brauchen können.“

Print hat in dieser neu gestalteten Customer Journey, in der das elektronische Postfach überquillt, der physische Posteingangskorb am Schreibtisch aber angenehm leer bleibt, eine völlig neue Wertigkeit bekommen, glaubt Kim Weinand, Geschäftsführer von Moccabirds. Grundsätzlich sei die Werbewahrnehmung bei einem Printmailing intensiver. „Ich erhalte
täglich eine Vielzahl von E-Mails, aber wenig Post. Fast jeder Brief wird geöffnet und man nimmt ihn aktiv wahr. Bei den E-Mails überfliegt man den Betreff und Absender und entscheidet dann, ob man sie öffnet.“ Wenn es dann auch noch gut gestaltet sei und eine Überraschung durch Form, Bildsprache oder Haptik berge, sei dem Mailing die Aufmerksamkeit sicher. Bei der Trierer Performance-Agentur hat das postalische Mailing deshalb einen festen Platz im Mediamix: „Gerade im hochpreisigen Automobil-Segment, in dem wir uns stark bewegen, kann ein Printmailing das Thema Hochwertigkeit allein über seine Haptik transportieren. Das hat es allen digitalen Werbemitteln voraus“, unterstreicht Weinand.

Das digitale Mailing bietet nichts desto trotz aber eine Vielzahl anderer Vorteile, so der Moccabirds-Chef: „Durch die Vorqualifizierung von Kontakten und die programmatische Ausspielung von Werbeinhalten können wir relevanten Content sehr genau auf die einzelnen Nutzer anpassen.“ Und während man bei einem Printmailing die Werbewirkung nur bedingt messen könne, punkte E-Mail-Marketing mit Transparenz, fügt Karl Ott, CEO der Performance-Marketing-Agentur ReachAd hinzu. „Das heißt, wir haben den Überblick, welche Personen wir ohne Kaufinteresse zu Interessenten wandeln konnten, welche dieser Interessenten zu Kunden gemacht wurden und welche Einzelkäufer zu Wiederholungstätern und im Idealfall zu Befürwortern wurden.“

E-Mail bereitet den Weg zur Personalisierung
Der Trend zu mehr Personalisierung und Individualisierung spielt dem in die Karten. „Mit E-Mail-Marketing sind wir inzwischen in der Lage, hoch individualisiert zu kommunizieren. Wir nennen das dann neudeutsch Marketing Automation. Wir können also automatisiert entscheiden, wann welche E-Mail verschickt werden soll und an wen genau sie verschickt werden soll“, erklärt Nikolaus von Graeve. Von Graeve ist Geschäftsführer von Rabbit eMarketing. Der E-Mail-Marketing-Pionier, der 2004 in Frankfurt gegründet wurde, hat sich bereits 2015 zum One-to-One-Multichannel-Anbieter umpositioniert. „E-Mail-Marketing war für uns nie gleichbedeutend mit Massenmailings, sondern immer mit individueller Kundenkommunikation. Da war es nur ein logischer Schritt, die Prinzipien auch auf andere Kanäle zu übertragen. Die technischen Gegebenheiten dafür sind nun da“, sagt von Graeve, der technisch gesehen kaum noch Unterschiede zum postalischen Mailing sieht: „Heute kann man mit Marketing Automation auch Print aussteuern.“ Zwischen E-Mail-Marketing und Printmailing sieht der Rabbit-Chef deshalb auch keine Kannibalisierung: „Man kann sagen: Die E-Mail hat den Weg bereitet, dass der Brief jetzt so individualisiert sein kann, dass er genau die Botschaft liefert zu dem Zeitpunkt zu dem wir sie brauchen.“
Nikolaus von Graeve: Das Print-Mailing als Einstieg in die Kommunikation
Anbieter von Marketing-Automation-Systemen wie Emarsys und Episerver haben längst eine Schnittstelle zu den Dialog-Marketing-Tools der Deutschen Post geschaffen. Das Ergebnis sind personalisierte Print-Mailings, die ganz auf die Bedürfnisse der Empfänger zugeschnitten sind. Immer noch muss sich Print dabei dem Vorurteil stellen, viel teurer als sein digitales Synonym zu sein. Ott lobt zwar die eindeutigen Vorzüge der postalischen Ansprache: „Gegenüber der E-Mail haben Print-Mailings den unbestreitbaren Vorteil der Haptik. Gerade die Bewerbung von hochpreisigen Produkten kann hier mit aufwendigen Gestaltungsmöglichkeiten kombiniert werden.“ Das spiegele sich dann aber auch in den Kosten und im Aufwand der Produktion sowie der Zustellung wider.

Wann sich Printmailings rechnen
Marc Bohnes, Director of Campaigns Strategy bei Episerver, lässt das Kostenargument hingegen nicht gelten: „Printmailings rechnen sich, wenn sie strategisch klug in die Customer Journey eingebunden werden.“ Bohnes zählt Beispiele auf: Die Paketbeilage etwa, die mithilfe von Personalisierungs-Metriken individuelle Cross- bzw. Upselling-Produkte anbietet. „Ebenso eignen sich Printmailings innerhalb von Marketing-Automation-Kampagnen, um ein bestimmtes Kundensegment, zum Beispiel loyale Kunden oder Big Spender, zu adressieren. Auch kann ein Printmailing zum Geburtstag, mit einem individualisierten und somit auswertbarem Gutscheincode – im Gegensatz zu einer E-Mail – durchaus für Mehrwert im Briefkasten sorgen.“ Argumente, die sich inzwischen eben auch den eher digitalbasierten Agenturen erschließen. Die Publicis-Media-Tochter Performics kooperiert mit der Deutschen Post, um deren Dialogmarketing-Angebot in ihr Performancekonzept einzubeziehen. Um Dialogmarketing und Performance Marketing vergleichbar zu machen schuf die Agentur sogar ein CpL-basiertes Konstrukt für Printmailings.

Zur Rückbesinnung auf Print habe aber auch die DSGVO geführt, glaubt Defacto-Chef Briggl. „Im Rahmen der DSGVO sind viele Permissions weggefallen.“ Mailadressen, deren Besitzern keine ausdrückliche Genehmigung für die Kontaktaufnahme erteilt haben, sind seit Inkrafttreten der Datenschutzgrundverordnung im Jahr 2018 wertlos geworden. Das erschwert die Arbeit von Digital- und Performance-Marketing-Agenturen enorm. Liege ein aktives Opt-In allerdings vor, relativiert Moccabirds-Geschäftsführer Weinand, sei das quasi eine Einladung des Kunden, mit ihm in Kontakt zu treten: „Während auf manchem Briefkasten ein Schild ,Keine Werbung’ angebracht ist, kann man das Opt-In als selektives ,Hier bitte Werbung einwerfen’ verstehen und so durch Mailing-Produkte mancher Vermarkter ganz gezielt neue Interessenten ansprechen.“ Weinand findet, dass die DSGVO damit der Werbewirkung des digitalen Mailings geradezu zuträglich war. Die Anbieter von Printmailings können allerdings auch mit den Werbeverweigerern gut leben. Immer noch nämlich lassen drei Viertel der Haushalte den Bezug von unadressierter Werbung zu.

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